Redebeitrag: Silvio Meier Mahnwache

Liebe Freunde und Freundinnen, Genossinnen und Genossen, liebe Angehörige,

heute jährt sich der Todestag unseres Genossen Silvio Meier zum 26ten Mal. Silvio wurde vor 26 Jahren in einer Auseinandersetzung mit Faschisten hier in diesem Berliner Ubahnhof erstochen. Warum: Weil er nicht schwieg, wie so viele in dieser Zeit, in denen nach der deutschen Wiedervereinigung, Rassismus, Pogrome gegen MigrantInnen und Nationalismus aufblühten. Er hat nicht geschwiegen sondern gehandelt. Unsere Genossin Ulrike Meinhof, ermordet in Stammheim, zitierte einmal einen Black Panther: „Protest ist, wenn ich sage, dass und dass passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das was mir nicht passt, nicht weiter geschieht.“ Silvio Meier leistete Widerstand.

Wir, einige Genoss*innen aus der radikalen Linken Berlin, befinden uns gerade in Rojava. In Rojava konnten wir viel lernen, diskutieren und nachdenken. Wir konnten vor allem eine wichtige Erfahrung machen, die das Leben der kurdischen Freiheitsbewegung kennzeichnet: Der Satz Sehid namirin, auf deutsch: die Martyrer sind unsterblich. Für viele in Deutschland mag das seltsam klingen. Allein der Begriff Märtyrer lässt wahrscheinlich viele erschrecken und sich abwenden. Aber diese oberflächliche Annäherung müssen wir in Deutschland und Europa überwinden, gerade, wenn wir uns mit der kurdischen Freiheitsbewegung ernsthaft auseinandersetzen und von ihr lernen wollen.  Es geht hierbei niemals um Todessehnsucht, Verehrung von Tod, dem Hoffen auf‘s Paradies, sondern viel eher um einen kollektiven Prozess des Ausbaus von Perspektiven und dem Versprechen die Gefallenen nicht zu vergessen und ihre Wünsche und Träume weiterleben zu lassen. Unsere Akademie hier in Rojava ist dementsprechend nach einer gefallen Freundin, Sehid Helin, benannt. Sie war maßgeblich am Aufbau der Akademie beteiligt und fiel als Sehid beim Widerstand von Afrin gegen die Türkei und ihre Banden. Auch wenn sie nicht mehr lebt, ist sie somit doch ein fester Bestandteil des kollektiven Lebens hier. Und so heißt für uns Silvio Meier zu gedenken, heute Faschisten militant und überall entgegenzutreten. Eine Straße nach ihm zu benennen, kann ein Aspekt von vielen sein, ein anderer ist es, sich genau wie Silvio Meier Nazis in den Weg zu stellen und zu handeln.

Unsere gefallenen Genossen und Genossinnen, die ihr Leben gaben, die, die einen klaren Trennungsstrich gezogen und konsequente Entscheidungen für ihr Leben getroffen haben, die sich revolutionär organisiert haben. Sie sind Teil von uns. Von unserer Geschichte, von unserer Gegenwart. Wir dürfen all diejenigen niemals vergessen. Der Staat versucht kontinuierlich mit einer riesigen Anti-Propaganda, die Geschichte zu bestimmen. Setzen wir dem unsere eigene Geschichte, unsere eigene Erinnerungskultur entgegen und führen wir die Kämpfe derjenigen, weiter, die das nicht mehr können, weil sie ihr Leben im politischen Kampf gegeben haben.

In Deutschland waren die Angriffe des Staates gegen uns, gegen unsere Kultur und Geschichte sehr stark. Oft konnten wir diesen nichts entgegensetzen. Aber es gibt sie. Unsere Geschichte. Diese müssen wir uns aber wieder bewusst machen, sie uns wieder aneignen. Daraus kann eine Kultur entstehen, und an vielen Orten besteht sie ja auch bereits, die es schafft, Verbindungslinien aufzuzeichnen, die Beweggründe aufzeigt. Die sich solidarisch auf die eigene Geschichte bezieht und die Deutungshohheit der bürgerlichen Geschichte überwindet. Von RAF, 2. Juni bis RZ, von Räterepublik zu Arbeiterbrigaden, von gefallenen Kommunist*innen und Anarchist*innen, den internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg, Widerstand gegen den NS, den Internationalist*innen die in Kurdistan in den Bergen oder in Rojava ihr Leben für eine andere Welt gaben. Den Gefallen erinnern, heißt radikale Politik und Internationalismus ernst zu nehmen.

Eine Bewegung, die ihre Gefallenen vergisst, wird sich auch selbst vergessen. Deswegen ist es zu begrüßen, dass auch dieses Jahr die Mahnwache für Silvio stattfindet. Wir wünschen euch Kraft für die kommende Zeit und senden euch Grüße aus Rojava in die berliner Kälte. Zum Abschluss möchten wir euch noch einige Zeilen aus einem Gedicht vorlesen, welches auf einem Plakat gedruckt war, als der RAF Gefangene Holger Meins am  09. November 1974 durch Zwangsernährung im Hungerstreik fiel:

Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sicher ist nicht sicher.
So wie es ist, bleibt es nicht
Wenn die Herrschenden gesprochen haben, werden die Beherrschten sprechen
Wer wagt zu sagen: niemals?
An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns!
Wer niedergeschlagen wird, erhebe sich. Wer verloren ist, kämpfe. Wer
seine Lage erkannt hat, wie soillte der aufzuhalten sein.
Wenn die Besiegten von heute sind die Sieger von Morgen
Und aus niemals wird: HEUTE NOCH!


Sehid namirin